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Tour de Pharma?

27.01.2013 | 0 Kommentare

Das öffentliche Beichten gehört in den USA zum guten Ton. Je quotenstärker, desto besser – so die Meinung. Und der medienwirksamste Beichtstuhl scheint bei Oprah Winfrey zu stehen. In diesen setzte sich unlängst auch Dopingsünder Lance Armstrong, um scheinbar bereuend sein „mea culpa“ los zu werden. Ich halte das alles für verlogene Selbstinszenierung. Ebenso wie ich generell glaube, dass der Radsport ein echtes Dopingproblem hat – und für mich die Tour de France eine Leistungsschau der Pharmakonzerne ist.

Doch es gibt auch Menschen die das anders sehen. So die Psychologin, Autorin und Skeptikerkollegin
Diana Menschig, die den Radsport aus nächster Nähe kennt – und den nachfolgenden Gastbeitrag liefert. Dem kann ich zwar folgen, aber nicht zustimmen. Mal sehen wie es Dir, lieber Leser geht. (Und wenn Du mehr von
Diana lesen willst: sie ist eine hervorragende
Fantasy-Autorin!) 

Mit Doping gewinnt man keine Tour de France

Jetzt ist es also endlich heraus, das Geständnis von Lance Armstrong. Man hat ihm seine sieben Tour de France Siege aberkannt. Da die Zweit- und Drittplatzierten in den Jahren 1999-2005 bereits fast alle als gedopt überführt waren, gibt es in diesen Jahren keinen Gesamtsieger.
Natürlich haben das alle schon lange gewusst. Natürlich gibt es auf Oprah Winfreys Beichtstuhl emotionale Abgründe, tiefste Reue und alles, was zu einer großen Show dazugehört. Eine Nummer kleiner geht es bei Lance Armstrong nicht.
Aber neben der Tatsache, dass es um Lance Armstrong und um Doping geht, gibt es zwei Dinge, die mich in den letzten Tagen wirklich aufgeregt haben:

1. Die Sonderstellung des Radsports in den Medien (speziell der ARD)
Es wird wieder einmal so getan, als ob Doping ein Problem des Radsports wäre. Da wird es als richtig angesehen, dass die ARD die Übertragung der Tour von ihren Sendeplätzen verbannt hat. Es beginnt eine Hexenjagd auf alle noch (!) nicht enttarnten Radsportler, weil sie ja als Radsportler sowieso unter Generalverdacht stehen.
Dabei wird gerne übersehen, dass die große Anzahl an positiven Dopingfällen auch mindestens einen anderen Grund haben kann: Die rigorose Aufklärung durch den internationalen Radsportverband UCI. Die UCI hat als einer der ersten Sportverbände den „Blutpass“ eingeführt, mit dem eine umfassende Überprüfung des Sportlers möglich werden soll. Die UCI hat in 2012 über 13.000 Trainings-Kontrollen durchgeführt. Demgegenüber stehen 1740 Kontrollen des Welt-Skiverbandes FIS in der Saison 2011/12 oder 1088 Kontrollen des Weltschwimmverbandes FINA.
Es ist völlig logisch, dass bei mehr Tests auch die Wahrscheinlichkeit steigt, jemanden zu erwischen. Genau das ist das Ziel der Kampagne der UCI. Für die Medien ist es jedoch ein Zeichen der höheren Dopingrate der Radfahrer.
Wir haben in nahezu allen Sportarten mehr oder weniger namhafte Dopingsünder. Dieter Baumann, Claudia Pechstein oder Christian Ahlmann (hier wurde natürlich sein Pferd gedopt, nicht er selbst!). Trotzdem werden Eisschnelllauf, der CHIO oder Leichtathletik gesendet. Nur die großen Radrundfahrten nicht. Die des Dopings überführte Schwimmerin Kristin Otto darf sogar im ZDF moderieren. Kann sich jemand vorstellen, dass Jan Ullrich eine zweite Chance als Moderator oder Kommentator erhält?
Man kann es als richtig ansehen, dass die Tour de France von den öffentlich-rechtlichen nicht mehr übertragen wird. Aber dann sollte man doch bitte konsequent sein und auch alle anderen Sportarten verbannen, in denen ebenfalls genauso intensiv gedopt wird (z.B. auch Schwimmen, Biathlon oder Rudern) –  und vor allem die olympischen Spiele nicht mehr übertragen!
Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Warum? Weil die Tour de France in Deutschland nicht den gleichen kulturellen Stellenwert wie Fußball hat? Oder weil da auch eine Menge gekränkte Eitelkeit im Spiel ist? Schließlich hat die ARD in den besten Zeiten von Ullrich, Zabel & Co. das deutsche Telekom-Team gesponsort. Für mich ist es daher gut vorstellbar, dass auch persönliche Befindlichkeiten eine Rolle spielen.

So oder so ist die Begründung, die Radrundfahrten nicht zu übertragen, im Vergleich zu anderen Sportarten für mich nicht nachvollziehbar und vor allem ungerecht. Gedopt wird überall und vermutlich im gleichen Umfang.
Nicht nur, aber auch dadurch sind Radsport und die Tour de France (immerhin nach Olympia und Fußball-WM das drittgrößte Sportereignis der Welt!) zu einer Randsportart verkommen. Da ist z. B. gegenwärtig ein Deutscher Zeitfahrweltmeister und keiner merkt es. Das ist einfach schade!

 


Was führt zum Radsporterfolg? (Quelle: SB)

2. Der grundsätzliche Zweifel an einer Leistung wie dem Gewinn der Tour de France 

Vielleicht ist es eben doch die Tour de France an sich, an der sich die journalistischen Gemüter erhitzen. Beim Radsport, speziell der Tour de France können viele nicht akzeptieren, dass solche Leistungen grundsätzlich möglich sind. Weil sie es so abstrus bescheuert finden, freiwillig Berge raufzufahren.
Sie können diese Leistung aber überhaupt nicht einschätzen. So wird z.B. behauptet, dass ohne Doping ein Schnitt von 30 km/h gefahren werden würde.

Dazu sage ich: Wenn man keine Ahnung hat, … . Ich habe Ahnung, also darf ich was sagen:
ICH, als weibliche Hobbysportlerin bin in meinen besten Zeiten „im Feld“ einen Schnitt von 37,8 km/h auf gerader Strecke gefahren. Ohne besondere Anstrengung mit zuviel Gewicht und mittelmäßigen Material. Hinter einem Traktor fahre ich auch 45 km/h über einen längeren Zeitraum.

Ich bin den Ötztaler Radmarathon, der schwerer ist als manche Königsetappe der Tour, gefahren: 225 km und 5000 hm. Ich hätte am nächsten Tag wieder fahren können. Ich hätte nur nicht gewollt. Aber ich bekomme auch kein Geld dafür.
Ein Profi bereitet sich Jahre, wenn nicht sein ganze Leben auf die Tour vor! Er wird daher ohne Doping auf einer Flachetappe nicht nur 30 km/h fahren und die Pässe gut hinaufkommen. Wie groß der Anteil des Dopings an der Gesamtleistung (nach verschiedenen Quellen  5-10%) ist, und wie viel langsamer die Tour wäre (2-3 km/h beim Gesamtschnitt), ist dabei für mich unerheblich. Mir kommt es darauf an, dass man das fahren kann! Wenn also jemand behauptet, diese Leistung wäre „übermenschlich“, stellt er damit meine eigene Leistungen infrage. Weil ich sportlich schon mehr leisten kann, als man einem Profi zutraut (und nein, ich dope nicht!). Verrückt, oder?

Um die Tour de France zu gewinnen braucht es mehr als einen perfekten Dopingplan. Es braucht erst einmal viel, viel Training. Dazu das beste Material, ein gut zusammenarbeitendes Team, die richtige und intensive Vorbereitung, das sekundengenaue Timing. Nur mit Doping gewinnt man keine Tour.

Und ohne? Auch wenn es schwer fällt: Gestehen wir doch allen Sportlern, egal mit oder ohne Fahrrad, erst einmal die Unschuldsvermutung zu, bis wir (leider) eines besseren belehrt werden.  

Weiterführende Lektüre und Quellen:

Zur Tour de France:
Schröder & Dahlkamp: Nicht alle Helden tragen Gelb – die Geschichte der Tour de France, Göttingen: Verlag die Werkstatt, aktualisierte 3. Auflage 2005
Moore, Tim: Alpenpässe und Anchovis, Bielefeld: Covadonga 2008
Overcoming – Der Wahnsinn Tour des France, DVD 2004
Höllentour – die Tour der Helden, DVD 2005
Zum Doping:

Hürter, Tobias: „Superheld für acht Tage“ Zeit Online vom 26.03.09
Die Dokumentarreihen des Journalisten Hajo Seppelt (ARD/ WDR)
Jahresbericht 2011 der NADA
Anti-Doping Statistiken der internationalen Verbände (alle abgerufen am 21.01.2012):
FIS
UCI
FINA

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